1154 Tage Afrika Marokko

Der Versuch in den Süden zu kommen

›› Agadir, Marokko
Im Zug geht es weiter nach Rabat. Erwarten tun wir nicht viel von der Hauptstadt Marokkos, werden aber positiv überrascht. Für eine Metropole geht es hier sehr gemütlich zu und her. Die Hauptstrasse ist von grossen Palmen umsäumt, die wichtigen Häuser und Paläste stehen pompös in der Strasse.

Wir nisten uns für eine Weile in einem Zimmer mit bequemem Bett ein, gibt es hier noch eine Mission zu erfüllen: das Visum für unsere nächste Reisestation zu ergattern. Der erste Besuch bei der mauretanischen Botschaft ist Vergeblich. Beim zweiten Versuch bekommen man von einem sehr mürrischen und unfreundlichen Botschafter einen Fackel in die Hand gedrückt. Es ist erstaunlich wie viele Fragen auf einem Bogen Papier Platz haben. Vor- und Rückseite versteht sich. Zwei Fotos und 320 Dirham (fast CHF 50.–) pro Person und das für einen Monat Aufenthalt – Autsch.
In Lateinamerika waren wir richtig verwöhnt, da war nie ein Visum nötig. An der Grenze gab es einen Einreisestempel für 90 Tage Aufenthalt. Meistens gratis.

In Rabat verkürzen wir die Warterei mit Kaffee trinken. Da wir gleich gegenüber des «Marché Central» wohnen, kann man in einem der vielen Cafés gut dem Treiben zuschauen. Das richtige Leben geht erst nach Sonnenuntergang los. Hunderte von Strassenhändlern füllen jede freie Fläche auf dem Asphalt, ein Durchkommen ist kaum mehr möglich, ohne jemandem auf die Ware zu stehen. Wenn die Polizei dann wiedermal eine Runde dreht, steht man wie von Geisterhand in einer fast leergefegten Gasse. Dies ist aber meistens nur von kurzer Dauer.

Kaffee trinken ist hier nicht was für alte Damen mit Kuchen und so. Im Gegenteil. Es ist Männersache. Die Männer zelebrieren es auch ausgiebig. Sie rauchen (sehr viel), trinken und plaudern. Es stört hier niemanden, wenn man(n) schon stundenlang sitzt und an seinem Getränk nippt. Man kann sich auch ungeniert in einer Bäckerei etwas kaufen und es im Café zu seinem Heissgetränkt essen.

kaffee

Zu 99% bin ich täglich die einzige Frau. Abends sieht man dann schon auch Frauen, aber nicht im Café, sondern in einer der vielen Patisserien, die rund um das Marktgebäude liegen. Da gibt es aber keine Stühle. Man bestellt direkt am Ladentisch, wo man auch gleich stehen bleibt. Viele bestellen sich noch ein Glas Milch dazu und fallen dann so über ihre Leckereien her. Abends überfallen die Menschen hier regelrecht die vielen Patisserien. Ich glaube kaum, dass Arbeitslosigkeit herrscht bei den Bäckern ;-). Eine unglaubliche Masse an Menschen, die da Süssigkeiten zu sich nimmt. Für die Bienen auch ein Festschmaus. Zu hunderten (ohne Übertreibung!) summen sie bis zum Delirium in den Vitrinen der Feinbäckereien herum, hocken auf den zuckersüssen Luftgebäcken oder stecken knietief mit ihren Beinchen in einem Zuckerguss fest. Noch nie habe ich so viele Bienen gesehen. Vor allem nicht in einer Bäckerei…

In Mauretanien soll man mit Euros am besten voran kommen, heisst zum Eintauschen ist es die gängigste Währung. Geldautomaten gebe es im ganzen Land nur zwei, und zwar in der Hauptstadt (wenn sie dann funktionieren). Wer jetzt denkt, in Marokko an Euros zu kommen sei kein Problem, der liegt leider falsch. Es gibt nicht schwierigeres als das!

Wenn man hier nicht gemeldet ist, ist es verboten Dirham in Euros zu wechseln! (Euros in Dirham natürlich schon). Western Union spuckt auch keine Euros, der Geldautomat natürlich auch nicht. «Da wäre noch der Schwarzmarkt» meint die Dame in der Bank zögernd. Ist wahrscheinlich auch nicht die optimalste Idee, wenn man schon bei einfachen Einkäufen auf Schlawiner trifft…

Da es bekanntlich für jedes Problem eine Lösung gibt, so auch hier: wir müssen in ein Euro-Land reisen! Glücklicherweise nicht auf die andere Seite des Mittelmeers, sondern in die spanische Enklave Ceuta, im Norden Marokkos. Liegt überhaupt nicht auf unserem Weg – im Gegenteil eher in entgegengesetzter Richtung – aber was anderes bleibt uns nicht übrig. Lustlos sitzen wir ein paar Tage später wieder im Zug, diesmal Richtung Tanger. Genau, da wo unser Schiff angekommen ist…

Der Kontrolleur hat heute einen schlechten Tag. Es ist Sonntag, er muss arbeiten. Das soll heute unsere Schuld sein. Er betrachtet unsere Tickets und sagt dann leicht gehässig, wo das dritte Ticket sei. Wohlgemerkt, wir reisen immer noch zu zweit herum. Jetzt stellt sich (die Stimme immer lauter werdend) heraus, dass der gute Mann die Quittung vom Ticketkauf meint. Wir wettern, dass wir noch nie die Quittung im Zug zeigen mussten, ob er ernsthaft meine, dass das Ticket vom Souk käme. Er findet wir müssten nochmals bezahlen. Klar, sicher, der hat doch wohl nicht mehr alles Tassen im Schrank. Das riecht uns zu stark nach «Bakschisch»…

Er gewinnt – nicht das Geld – nur einen Pass. Den er aber OHNE murren und OHNE betteln bei der Ankunft wieder aushändigt…
Dass man mit Busfahrern oft wegen dem Fahrpreis zu kämpfen hat, ist global bekannt, aber im Zug denkt man, sich von solchen Problemen befreit zu haben. Nicht so in Marokko…

Am nächsten Morgen geht’s nach Ceuta. Eigentlich wäre die Enklave nur 70 Kilometer von Tanger entfernt, aber leider fährt kein Bus direkt dorthin, sonder macht einen enormen Umweg von drei Stunden pro Weg.

Der Grenzübergang dort gehört wohl zu den bizarrsten. Dunkle Gestalten lungern am Eingang, beobachten die Einreisenden, ganz Schlaue versuchen Unwissenden Einreisepapiere, die man ausfüllen muss, zu verkaufen. Die Stimmung ist merkwürdig. Bald sind wir auf der anderen Seite und auch rasch im Zentrum. Hier zeigt sich ein ganz anderes Bild. Hübsche Strassen, saubere Gassen, plötzlich sind auch alle «Freunde» verschwunden. Wir haben einen halben Tag Ferien und feiern dies mit ein bisschen «Jamon Serrano» – nicht sehr «Halal», aber gut… 😉

Die Geldautomaten sind gut gefüllt und spucken die gewünschten Euros aus. Mit Einschränkung: mein Magnetstreifen der Bankkarte gibt den Geist auf und das ausgerechnet hier… Wir kratzen zusammen was geht und verschwinden wieder, auf die andere Seite der Grenze, hocken nochmals drei Stunden im Bus und kommen spät Abends völlig erledigt in Tanger an.

Obwohl JC Abends mit hohem Fieber im Bett landet, fahren wir am nächsten Tag zurück nach Rabat. In Tanger wollen wir keinen Tag länger bleiben. In Rabat wartet das weitaus bessere Bett, dieses Ziel hilft, die Rückfahrt gut zu überstehen. In Rabat wird dann synchron gekränkelt, was sich aber nach ein paar Tagen wieder legt.

Das neue Visum im Pass, wollen wir eigentlich nur noch eins: die lange Fahrt in den Süden auf uns nehmen und die Grenze zu Mauretanien passieren. Zuerst geht es aber noch nach Marrakech. Man kann ja fast nicht nach Marokko reisen und Marrakech nicht besuchen. Denkt man an «Souk» kommt fast jedem Marrakech in den Sinn. Daher stellen wir uns einfach mal seelisch auf ein paar hektische Tage ein, aber freuen uns auf den Besuch. Wieder per Zug, kommen wir an einem schönen Bahnhof an. Endstation, das Zugnetz hört hier auf. Die Stadt zeigt sich zu Beginn recht freundlich, bis der Kampf mit den Taxifahrern beginnt.

Regel Nummer eins: ignoriere die Taxifahrer, die dich anquatschen, die verlangen viermal zu viel. Die anderen Taxifahrer nämlich, arbeiten und sitzen hinter ihrem Lenkrad. Da sie sowieso ständig besetzt sind brauchen sie auch niemanden anzulabern.
Regel Nummer zwei: sollte man das Glück besitzen, dass gerade vor einem ein Taxi anhält, unweit aber eine schon vor dir dagewesene Person steht und auch ein Taxi will (was eigentlich immer der Fall ist), stürze dich auf das Taxi. Keine Rücksicht auf andere, sonst steht man nämlich Abends noch da. (Dieselbe Regel gilt übrigens auch beim Anstehen… aber das wäre eine andere Geschichte).
Da die vergebliche Warterei auf ein Taxi uns in der Sonne braten lässt (es ist unglaublich heiss hier), suchen und finden wir einen Bus. Der kommt überraschend schnell und ist überraschend leer.

Ziel das Zentrum, sprich die Medina, unweit des bekannten Platzes «Djemaa el-Fna». Hotels gibt es hier wie Sand am Meer, was die Suche eigentlich vereinfacht. Wenn da nicht die ewigen Schlepper wären… JC gerät dann auch gleich in eine heftige Diskussion mit einem, der auch nach mehrmaligem «Nein», nicht begreifen will, dass wir «seinen Job» gerne selber machen. Er wird unverschämt, beleidigend und aggressiv. Fängt ja schon gut an. Die ständige Kämpferei in diesem Land geht uns langsam aber sicher auf den Keks.

Der «Djemaa el-Fna» ist ein riesiger Platz, wo Nachmittags verhältnissmässig wenig los ist. Trotzdem kann man von einer gemächlichen Überquerung des Platzes nicht sprechen. Dass Marokko vom Tourismus unberührt wäre, kann man allgemein nicht gerade sagen, aber Marrakech toppt dann doch alles.

Marrakech

Versucht man also mal alles auf sich wirken zu lassen wird man schon vom Schlangenbeschwörer herangewunken, die in geraumer Anzahl auf dem Platz zu finden sind, oder der Wasserträger meint: «Dirham, Dirham… Foto!» und will als Fotomodell posieren (in anderen Städten verkauft er Wasser). Frauen kommen angerannt und wollen mit Henna Muster auf die Hände malen, passt man nicht auf, hat man schon eine Blume auf dem Handrücken. «Gratis», ja, wir sind ja von gestern…

Wenn man nicht von einem Taxi, Auto, Töffli, unkontrollierbaren Esel, Kutsche oder ähnlichem überfahren wurde, landet man bei einem der vielen Stände, die frischgepressten Orangensaft verkaufen.

OSaft-Stand

Man braucht mehrere Anläufe, um mal alles ein bisschen zu inspizieren, wenn man denn überhaupt so viel Durchhaltevermögen hat. Hat man den Platz überquert steht man eigentlich schon im «Souk». Wir stellten uns den Markt hier anders vor. Schöner, pompöser, ich weiss es nicht. Aber er sieht eigentlich aus wie überall. Waren die von den Wänden hängen, regelrecht überquellen, jeder hat ein bisschen das gleiche. Gross ist er der Markt, das stimmt.

Die Gassen sind eng und überdacht, aber da auch hier Töff, Autos, Karren, Mercedes-Taxis und sonstige fahrbare Dinge erlaubt sind, bleibt das Abgas schön in der Luft hängen. Schaut man sich ein bisschen um und passt nicht auf, liegt man auch schon mit einem Motorrad in einer Strassenecke. Mir wurde ein inniger Kontakt mit einem Zweirad nicht erspart. Ich werde grimmig angeschaut, mein Fehler. Schliesslich sind Fussgänger nicht viel mehr Wert als eine Ziege.

Marrakech

Kurz vor Sonnenuntergang erreicht der Platz den Höhepunkt des Geschehens. In der Mitte stehen sicher hundert Essstände, die von überall her auftauchen. Lichterketten werden aufgebaut, der Grill angefeuert, Fleischspiesse, Würste, Pommes und Berge von sonstigem Essbarem gegrillt, gebraten, aufgetürmt und verspeist.

Über dem Platz hängen weisse Rauchschwaden, von überall kommt das Gedudel der Schlangenbeschwörer, Spieler die den Männern ihr Geld aus den Taschen ziehen, Medizinverkäufer mit jeglichen Kräutern, Musiker mischen sich mit dem Rest des Lärms, Frauen bringen immer noch ihr Henna an die Frau, Touris staunen, Sänger versuchen zu singen, Schuhputzer bringen das Leder zum glänzen, Zigarettenverkäufer klimpern mit dem Geld, Pferdekutscher warten auf Kundschaft… die Menschenmasse und der Lärmpegel ist kaum zu beschreiben. Es ist beeindruckend, sieht in der Dunkelheit mit all den Lichtern auch noch schön aus.

Djemaa el-Fna bei Nacht

Aber wir werden einfach das Gefühl nicht los, dass all das hier ein grosses Spektakel für den Touri ist. Alles ist irgendwie falsch. Wahrscheinlich sind wir die einzigen, die so denken, die anderen finden alles so «wahnsinnig orientalisch». Wir wollen nur noch eins: weg von hier und weiter reisen, wir haben eine Überdosis Marokko. Zwei Wochen lang macht das vielleicht Spass, wir sind vermutlich schon zu lange hier. Es gibt sicherlich ein «anderes» Marokko, fernab vom Touristenstrom, aber das findet man bestimmt nicht da, wo wir gewesen sind.

Ihr fragt Euch, was wir hier denn noch tun? Warten. Auf meine neue Bankkarte. Zum Glück nicht in Marrakech. Da hätte ich mich freiwillig vor eine Pferdekutsche geworfen. Wir warten in Agadir. Hier ist es total ruhig. Das pure Gegenteil zu Marrakech. Um diese Zeit kommen europäischen Pensionäre, um hier zu überwintern.
Die Menschen sind an diesem Ort wirklich freundlich und uns wohlgesinnt. Es ist einfach erstaunlich, wie unterschiedlich es sein kann. Nachdem man hundert Leute an die Wand hätte klatschen wollen, kommt einer, den man am liebsten nach Hause nehmen würde. Aber wir wollen es nun nicht übertreiben. 😉

Wir warten 11 lange Tage. Und das für eine (zu teure) Expresspost… Die Karte wurde auf halbem Weg neu abgepackt und umnummeriert, daher tauchte der Brief nie am richtigen Ort auf. Sehr praktisch, wenn weder der Sender noch der Empfänger informiert wird…

Nun sind wir wieder unterwegs, diesmal wirklich Richtung Grenze. Aber es ist noch ein langer Weg bis ganz nach unten, hoffen wir, dass nichts mehr dazwischen kommt…

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