›› Ouagadougou, Burkina Faso
Die letzten Tage sind schnell erzählt. Sie vergehen ebenso rasch. Ist ja logisch. Man erledigt ausserdem alles erst in letzter Minute. Kommt dazu, dass wir im Souvenirkauf nicht sehr geübt sind. Das beschwerlichste ist immer der Markt. Wie die Fliegen auf Frischfleisch schmeissen sich die Marktverkäufer auf uns. Weiss man allerdings was man will, ist es recht erträglich. Es wird gefeilscht, gelacht und gekauft.
Der Magen wird noch mit den letzten Reisgerichten gefüllt (danach kommt kein Reiskorn mehr auf die Teller!) und sonst werden diverse Strassen Ouagadougous durchgewühlt. Hört sich gemütlich an, in Wirklichkeit ist es Anspannung in vollem Umfang.
Zum Glück sind wir schon am ersten Abend auf Issouf den Maquibesitzer und dessen Freund Djallil gestossen und haben so eine Ruhe-Oase, wo es regelmässig Stopp gibt. Haben wir etwas auf dem Markt oder in den Strassen nicht gefunden kommt Issouf zu Hilfe. Er findet alles!
Es ist zwar klar, dass Sonntag der Abflugtag ist, ob das mit dem realisieren klappt wage ich zu bezweifeln. Denkt man an die Rückkehr, wird einem schwer ums Herz. Extrem schwer. Bleischwer. Das alles sollen wir verlassen? Diese fröhlichen Menschen? Die Sonne, den roten Staub, die Lehmhäuser, die Taxis, die zerfallenen Busse?
Es kann sich kaum jemand vorstellen wie wir uns fühlen.
Durch die Strassen spazierend, schlucken wir leer. Schlucken die Traurigkeit, die aufkommt einfach hinunter. Der Zeitpunkt ist nunmal da. Wir spüren ihn und wissen, dass es so schon richtig ist. Obwohl es unsere freie Entscheidung ist müssen wir sie uns gut einreden, es ist wirklich hart.
Die letzten Wochen und jetzt die letzten Momente sind emotional schwer zu tragen. Wir verlassen diese unsägliche Freiheit, von der wir während über drei Jahren kosten durften. Drei Jahre! Eine Menge Zeit, wo wir unglaubliches, schönes und fragwürdiges gesehen haben. Zeit, die wir uns zum Reisen genommen haben. Eine Zeitspanne die sonst mehr oder weniger einem Arbeiterleben an Ferien entsprechen. Eine Bilanz auf die wir stolz sind und uns niemand mehr nehmen kann.
Gewiss: die Vorstellung, diese Freiheit aufzugeben, sich wieder an das krakenartige Gebilde der westlichen Welt anzuschliessen lässt uns erschaudern. Andererseits gibt es nicht nur Schlechtes bei uns. Das Essen zum Beispiel ;-). Ja, ja… essen scheint eine schöne Nebensache zu sein, trotzdem haben wir die letzten Monate oft vom Essen geträumt oder mit Reisenden (stundenlang!) darüber geredet. Drei Jahre lang hauptsächlich von Reis und oft monotonen Gerichten zu leben, da kommt einem ein frischer, knackiger Salat (aus dem Kühlschrank) schon wie ein Festessen vor…
Doch zurück nach Afrika. Irgendwann in den letzen drei Tagen taucht ein ehrlicher Taxifahrer im Gewimmel der Strassen auf. Kommt etwa einem Sechser im Lotto gleich. Ein sympathischer Mensch gleich noch dazu. Also werden die Nummern ausgetauscht damit er uns am Sonntag zum Flughafen fährt. Abgemacht.
Am vorletzten Abend lädt uns die Mutter von Djallil zum Essen ein. Da lassen wir uns nicht zweimal darum bitten. Die Mama von Djallil kommt von den Komoren der Papa von Burkina Faso. Sie bekocht uns mit Köstlichkeiten aus ihrer Heimat und erzählt von ihren Problemen hier. Dass man Sie ebenfalls – trotz dunkler Hautfarbe – «Nassara» (Weisse) nennt. Auch sie am Markt um korrekte Preise kämpfen und mit dem Taxifahrer streiten muss. Eine verrückte Sache, oder?
Wir saugen noch alle Momente der beinahe letzen Stunden in uns auf, speichern den Geruch dieses Landes in unserem Hirn, wie wir es auf den anderen Erdteilen in gleicher Weise getan haben.
Und dann ist Sonntag.
Sonntags ist nicht viel los in Ouagadougou. Sonntag halt. Abends geht es zum Abschied natürlich in «unser Maquis». Der Rasta aus Mali und seine Freundin aus der gleichen Pension begleiten uns. Issouf und Djallil sind auch da. Es wird tüchtig Bier ausgeschenkt und viel philosophiert. Die Uhr rückt trotzdem bedrohlich Richtung Mitternacht. Verabschieden und wieder die Traurigkeit runterschlucken. Der sympathische Taxifahrer kommt pünktlich wie eine Schweizer Uhr. Mitsamt der ganzen Familie auf dem Beifahrersitz. Mit Sack und (viel) Pack geht es zum Flughafen.
Es ist wie immer ein lauer Abend. Zum Flughafen geht es am «Maquis» vorbei, wo Issouf und Djallil winken. Was für ein Abschied. Wir können es kaum fassen. Es ist soweit!
Der Flughafen Ouagadougous ist im Umbau, bis wir einchecken können muss draussen gewartet werden. Die Sicherheitsleute langweilen sich, die Warteschlange vor der Tür wird immer länger. Als endlich die Tür aufgeht herrscht selbstverständlich Chaos. Stehen wir schliesslich vor der Dame, die sich um das Gepäck kümmern würde, muss noch ein Zettel mehr ausgefüllt werden. Das Papier gibt sie uns, aber keinen Stift. Ein Angestellter, der wild mit seinem Kugelschreiber gestikuliert, will seinen genauso wenig ausleihen. Schreiber sind in Afrika gefragte Ware, dass es einem jedoch so schwer gemacht wird, einen Zettel auszufüllen kann man sich irgendwie nicht vorstellen.
Wieder vor der Dame des Check-In fragen wir wie immer wegen unserer Grösse: «Könnten Sie uns bitte neben den Notausgang setzen?» Sonst eigentlich kein Problem, aber: «Nein, ich vergebe keine Sitzplätze, ihr könnt sitzen, wo ihr wollt». Sitzen, wo ihr wollt? Ich versuche mir das in einem Flugzeug vorzustellen, frage nach, weil ich ein Verständigungsproblem vermute. Ihr hingegen ist es ernst. «Das ist ja wie in einem afrikanischen Bus!» sage ich entsetzt. Rundherum wird gegrölt, heute finden wir das jedoch gar nicht lustig.
Der nächste Schritt im zusammengewürfelten Flughafen ist die Ausreise. Die Beamtin blättert lange im Pass. Verdächtig lange. «Wann sind sie nach Burkina Faso gekommen?» – «Am Donnerstag» – «Da steht aber etwas anderes…» und drückt die besagte Pass-Seite an die Scheibe.
Mit Schrecken stelle ich fest, dass der Vorgesetzte an der Grenze zwar ein netter, dafür doch noch nicht so wach war. Er hatte sich vertan und schrieb den Vormonat in den Pass… nun denkt sich die Migration, dass wir das 7-Tage-Visum von der Grenze nicht verlängert haben. Zum Glück ist die Frau nicht blöd. Ich zeige ihr den Ausreise-Stempel von Benin, erkläre alles mehrmals, hinterher stempelt sie was das Zeug hält und ich darf wieder gehen.
JC ist dafür nicht mehr auffindbar. Dem ergeht es nämlich gleich, bei ihm hat man den selben Fehler bemerkt, nur ist der auf einen mühsameren Beamten gestossen und muss sofort zum Chef ins Büro. Ob sie ihn gleich da behalten?
Angespannt und mit blank gelegten Nerven wollen wir nur noch eins: so einfach und schnell wie möglich nach Europa fliegen.
Tatsächlich entlassen sie JC wieder aus dem Chefbüro. Jetzt muss nur noch viel Zeit abgesessen werden. Der Flug geht um 3.40 in der Früh, gegen 7 Uhr Ankunft in Casablanca (Marokko), Flugzeug wechseln, gegen Mittag Landung in Marseille. So der Plan.
Die Realität sieht anders aus. Wahrscheinlich ist jetzt etwa ein Uhr morgens und man informiert uns gerade, dass das Flugzeug Verspätung hat. Wie viel wisse man nicht. «Wir fliegen halt irgendwann mal ab» so die wage Information. Also doch wie ein afrikanischer Bus. Warten bis das Flugzeug voll ist?
Wir bewegen uns zwischen Wahnsinn und Erschöpfung, das wechselt sich gerade so halbstündlich ab. Den Anschlussflug können wir wohl vergessen, die Ankunft in Marseille mittags sieht sehr kritisch aus. Ausgerechnet jetzt, wo unsere französischen Freunde am Flughafen warten werden.
Die Warterei wird kurz unterbrochen, weil man einen «verdächtigen» Gegenstand in meinem Rucksack findet. Und dann noch einmal, weil um fünf Uhr morgens lauwarme Hamburger verteilt werden. Tatsächlich auch eine Variante des Frühstücks.
Kurz vor Sonnenaufgang kommt Bewegung in das Ganze. Die Türen werden geöffnet, wir dürfen auf das Flughafenareal spazieren und ins Flugzeug sitzen. Doch noch. Dass einige Stühle wackeln ist im Moment Nebensache. Hauptsache abfliegen. Die afrikanische Sonne schaut schon über den Horizont und taucht alles in rosa Licht. Wir rollen an. Auch heute wird es heiss werden. Heiss und trocken. In den Strassen beginnt das Leben. Stände werden aufgebaut und Behälter voll überreifen Mangos von Frauen auf den Köpfen balanciert. Ich werde in den Sitz gedrückt. Schuhputzer versuchen polierend ihr Glück, Kinder spielen zwischen den Marktständen, Babys fühlen sich auf dem Rücken ihrer Mütter geborgen und schlafen friedlich. Die Sonne zeigt inzwischen ihre ganze Pracht, die Luft flirrt schon von der Wärme. Wir heben ab. Ein Alter fährt gemütlich mit seinem Fahrrad über die rote Erde, weiter hinten wird gerade wieder ein Bus geflickt und Issouf wird bald seine Tischchen zurecht rücken.
Das Leben geht weiter. Hier einfach ohne uns.
Die Häuser, Strassen und die roten, staubigen Pisten werden kleiner. Die Kinder, Schuhputzer und Velofahrer werden zu Punkten. Ouagadougou von oben – Afrika von oben. Ein atemberaubender Anblick im morgendlichen Sonnenlicht. Wenigstens etwas Gutes an dieser Verspätung.
Hoch oben kommen dann auch mal Wolken, an die wir dieses bleischwere Gefühl hängen können. Jetzt muss ich die Traurigkeit nicht mehr hinunterschlucken. Die kullert einfach über meine Wangen.
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